IAB-Prognose Arbeitslosenzahl steigt im Jahresschnitt um eine halbe Million

Binnen Wochen sind die Prognosen des Forschungsinstituts der Arbeitsagentur immer düsterer geworden: Deutschland stürzt in die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte – und die Arbeitslosigkeit steigt stark.

Von Markus Dettmer

24.04.2020, 10.30 Uhr

Arbeitsagentur in Stuttgart: “Enorme Wucht des wirtschaftlichen Schocks”

Sebastian Gollnow/ DPA

Es ist gerade einmal fünf Wochen her, da rechnete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) noch damit, dass der deutsche Arbeitsmarkt glimpflich aus der Coronakrise kommen könnte. Im Jahresschnitt könne die Arbeitslosenzahl lediglich um 90.000 über dem Jahr 2019 liegen – vorausgesetzt, die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens dauerten nicht zu lange, schränkten die Forscher damals ein.

Heute legt das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit eine neue Prognose vor, und diese Hoffnung ist begraben: Nun gehen die IAB-Forscher davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt um 520.000 Personen im Vergleich zum Vorjahr ansteigen wird – auf durchschnittlich 2,79 Millionen Menschen. In den kommenden Monaten werde sie sogar auf mehr als drei Millionen Menschen steigen. “Der Arbeitsmarkt ist an sich robust, eine deutliche Verschlechterung wird sich angesichts des massiven Corona-Schocks aber nicht vermeiden lassen”, sagt Enzo Weber, der am IAB den Bereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen leitet.

Ausgangslage

Die deutsche Wirtschaft stürzt nach Ansicht der IAB-Forscher gerade in die schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Sie weisen darauf hin, dass die Einschätzungen zur Entwicklung der Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt mit hohen Unsicherheiten behaftet seien, da der Fortgang der Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen nur schwer einzuschätzen seien.

Bei ihrer Vorausschau gehen sie nun davon aus, dass die Öffnung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft Schritt für Schritt bis zum Jahresende erfolgt. Neue Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie könnten dabei verhindert werden, Auflagen wie das Abstandsgebot bestünden fort. Einzelne Bereiche wie etwa Großveranstaltungen könnten dabei bis zum Ende des Jahres noch stark eingeschränkt sein.

Das schlimmste Szenario haben die Forscher noch gar nicht berechnet: Es sei derzeit nicht auszuschließen, dass sich die globale Rezession zu einer systemischen Krise auswachsen könnte. “Ausmaß und Wirkungsweise einer solchen Krise sind unvorhersehbar und werden durch die vorliegende Vorausschau nicht abgedeckt”, schreiben die Wissenschaftler. Andererseits könne sich die Lage auch günstiger entwickeln als in der Vorschau angenommen, wenn eine zügige Öffnung der Wirtschaft bei angemessenem Gesundheitsschutz möglich wäre oder unerwartet schnell ein Impfstoff oder eine effektive Behandlungsmethode zur Verfügung stünde.

Wirtschaftswachstum bricht ein

Der globale Konjunktureinbruch hat drastische Auswirkungen auf den Welthandel. Die Forscher gehen davon aus, dass das weltweite Handelsvolumen in diesem Jahr um ein Viertel gegenüber 2019 abnehmen wird. In Deutschland werden die Exporte stärker sinken als die Importe und damit der deutsche Handelsüberschuss zurückgehen. Im zweiten Quartal werde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 14,6 Prozent sinken, danach komme eine Erholung in Gang. Insgesamt werde allerdings 2020 das reale BIP um 8,4 Prozent schrumpfen, so die Forscher. Die Werte sind drastisch schlechter als noch in der IAB-Frühjahrsprognose vom März.

Arbeitsmarkt unter massivem Druck

Obwohl der Arbeitsmarkt noch immer robust ist, Unternehmen sich wie in der Finanzkrise immer noch scheuen, Fachkräfte zu entlassen und Instrumente wie Kurzarbeit helfen, Arbeitslosigkeit abzuwenden, wird es zu deutlichen Verschlechterungen bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit kommen. “Das liegt zunächst an der enormen Wucht des wirtschaftlichen Schocks”, heißt es in dem Bericht. “Neu sind vor allem die unmittelbaren Ausfälle von Wirtschaftstätigkeit gerade in Bereichen, die üblicherweise weniger von Konjunkturschwankungen betroffen sind.” Insbesondere treffe dies eher kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse, Einfacharbeitsplätze und Minijobs, die in vielen der vom Shutdown betroffenen Bereichen stark vertreten seien.

In den kommenden Monaten werde die Zahl der Erwerbstätigen um rund eine Million Personen sinken. Darunter seien auch etliche Hunderttausend Minijobber. Zwar werde sich die Beschäftigung bei einer schrittweisen Öffnung erholen. Doch im Jahresschnitt rechnet das IAB damit, dass die Zahl der Erwerbstätigen um 470.000 Personen sinken werde.

Die Zahl der Arbeitslosen werde auf Basis der Vorausschau in den nächsten Monaten auf mehr als drei Millionen steigen. Im Zuge der angenommenen Normalisierung werde sie im Verlauf der zweiten Jahreshälfte wieder gut die Hälfte des vorherigen Anstiegs wettmachen. Für den Jahresdurchschnitt 2020 ergebe sich daher eine Zunahme der Arbeitslosigkeit um gut eine halbe Million Menschen gegenüber dem Vorjahr.

Kurzarbeit wird stärker steigen als Arbeitslosigkeit

Bislang haben 718.000 Betriebe Antrag auf Kurzarbeit gestellt, so das IAB, und damit jeder dritte Betrieb in Deutschland. In der Coronakrise machen verstärkt auch Kleinbetriebe von der Kurzarbeit Gebrauch, anders als in den Krisen zuvor.

Eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung schätzte gerade die Zahl der Kurzarbeiter in der ersten Aprilhälfte auf rund vier Millionen Beschäftigten. Das IAB rechnet in der aktuellen Prognose nun für 2020 mit im Jahresdurchschnitt 2,5 Millionen Kurzarbeitern.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/arbeitslosigkeit-ueber-500-000-mehr-menschen-ohne-job-iab-prognose-a-e8434192-b51c-48d5-ad8d-a5a260f9967a

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