“Ich habe exakt null Euro Einkommen in diesem Monat”

Die Corona-Krise trifft die Selbstständigen besonders hart. Ihr Einkommen hängt von regelmäßigen Aufträgen ab. Wenn die wegfallen, bleibt vielen nur Hartz IV.

Von Elise Landschek, 27. April 2020,

Viele Freelancer dürfen in der Corona-Krise gerade nicht arbeiten. Damit haben sie auch keine Einnahmen. © Nik Shuliahin/​unsplash.com

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Karen Huber* hat seit Mitte März keine Nacht mehr durchgeschlafen. Dabei weiß sie eigentlich, wie man mit innerer Unruhe am besten umgeht: Die Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet in der Erwachsenenbildung in Hamburg, gibt Kurse zum Thema Achtsamkeit und Stressbewältigung, bietet psychologische Beratung und Coachings an. “Ich arbeite mit Gruppen, wir tauschen uns aus und machen Übungen gemeinsam”, sagt sie. In Corona-Zeiten, in denen Menschen eher Abstand halten sollen, sind Treffen in Gruppen allerdings nicht gefragt.

Seit dem Ausbruch des Coronavirus in Deutschland wurden alle ihre Kurse abgesagt. Huber ist selbstständig, sie stand über Nacht vor dem Nichts. Digitale Kurse könnten diese Art des Gruppenaustauschs nicht ersetzen, sagt sie, dazu sei die Arbeit viel zu persönlich. “Man liest viel über dieSelbstständigen in der Kultur, die jetzt Hilfen beantragen müssen, aber auch denen in anderen Bereichen geht es schlecht.”

Yogalehrer, Hausmeister, Grafiker, Dolmetscherinnen, Bäuerinnen oder Musiklehrerinnen – in Deutschland gibt es rund vier Millionen Selbstständige, davon sind etwa die Hälfte Solo-Selbstständige, beschäftigen also selbst keine Angestellten. Der Bund hat Hilfen in einer Gesamthöhe von 50 Milliarden Euro für Klein- und Kleinstunternehmer zur Verfügung gestellt, die nun für drei Monate beantragt werden können. Dabei bekommen Selbstständige mit bis zu fünf Angestellten einmalig 9.000 Euro, mit bis zu zehn Angestellten 15.000 Euro. Hinzu kommen Möglichkeiten zur Steuerstundung und Notkredite, zum Beispiel von der KfW-Bank. Auch die Bundesländer zahlen Soforthilfen, doch wer wie viel bekommen darf, das ist von Land zu Land unterschiedlich. Pech hat offenbar, wer schon vor der Krise verschuldet war. Denn dann ziehen die Gläubiger die Soforthilfen zur Tilgung ihrer Schulden gleich wieder ein.

Karen Huber hat in Hamburg eine Einmalzahlung von 2.500 Euro beantragt und bekommen. “Aber das Geld reicht bei mir gerade mal zwei Monate lang, das deckt nicht einmal meine laufenden Kosten”, sagt sie. Vorher hat sie sich selbst von ihrem Einkommen monatlich etwa 2.000 Euro ausgezahlt: “Damit waren keine großen Sprünge möglich, aber ich habe gut gelebt.”

Zusätzlich wollte sie die Bundeshilfen beantragen – der Antrag wurde abgewiesen. Dieses Geld bekommt nur, wer damit seine monatlichen Betriebskosten wie zum Beispiel eine Büromiete oder einen Leasingvertrag für technische Ausrüstung decken muss, jährliche Abbuchungen oder Lohnausfall sind damit ausdrücklich nicht gemeint. Ihre Steuerberaterin will deshalb Widerspruch einlegen. “Die Einmalzahlung vom Land war für drei Monate gedacht, aber was passiert danach?”

Huber sagt, sie fühle sich von der Politik allein gelassen. “Die Krise in Deutschland hat zwar alle getroffen, aber sie ist nicht für alle so existentiell wie für uns Selbstständige.” Denn für sie stehe kein Unternehmen ein und zahle die Löhne weiter, wenn vielleicht auch nur auf Kurzarbeiterbasis. “Ich empfinde da eine große Ungerechtigkeit in Deutschland.” Huber hat darüber nachgedacht, Hartz IV zu beantragen. “Ich habe mich beraten lassen, habe allerdings wahrscheinlich wegen meiner Ersparnisse, zu denen die private Altersvorsorge gerechnet wird, keinen Anspruch darauf”, sagt sie.

Genau jetzt wäre die Saison losgegangen

Martin Orgler* hat den Hartz-IV-Antrag schon abgeschickt. Auch er hat Probleme beim Ausfüllen seines Antrags gehabt und hofft nun, dass er keine Fehler gemacht habt, die eine schnelle Auszahlung des Gelds verhindern. Orgler, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, ist Touristenführer in Berlin. Auch er wurde im März über Nacht arbeitslos. Er lebt von ausländischen Gästen, vor allem aus den USA, denen er Tagesführungen durch das historische Berlin anbietet.

Wegen Corona liegt die Berliner Tourismusbranche komplett am Boden. Einige kleinere Reiseagenturen werden sich vielleicht von den Einnahmeausfällen nie mehr erholen. “Genau jetzt wäre die Saison losgegangen, aber in meinem Terminkalender herrscht absolute Leere”, sagt Martin Orgler. Aufgrund der strikten Reiseverbote ist kein Ende abzusehen. “Ich habe exakt null Euro Einkommen in diesem Monat und das wird voraussichtlich den ganzen Sommer so weitergehen.” Stadtführer sei eben auch kein Job, den man im Homeoffice erledigen könnte. Nebenbei schrieb Orgler Konzertkritiken für eine Berliner Tageszeitung, doch auch dieser Job ist mit den Veranstaltungsabsagen bis Oktober weggebrochen.

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Dabei hatte er noch Glück, er hat 5.000 Euro Soforthilfe vom Berliner Senat ergattert, nur ein paar Tage gab es dieses Geld als Kompensation für Einkommensausfälle in Berlin, dann waren die bereitgestellten 250 Millionen Euro an Landeshilfen aufgebraucht. Doch auch bei ihm wird das Geld nicht lange reichen. Hartz IV konnte Orgler nur beantragen, weil auch hier vorübergehend andere Regeln gelten: bis zum 30. Juni 2020 werden bei den Anträgen höhere Wohnkosten als sonst akzeptiert, Orgler muss also mit Frau und Kind nicht etwa umziehen, weil seine Miete zu hoch ist. Außerdem wird das Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht in voller Höhe berücksichtigt, also die für Selbstständige so wichtige Rücklage für die Altersvorsorge. Wer allerdings mehr als 60.000 Euro angespart hat, wird diese zunächst einmal aufbrauchen müssen und bekommt kein Geld vom Staat. “Wenn die Krise noch lange andauert, werde ich mir überlegen müssen, was ganz anderes zu machen”, sagt der studierte Historiker. Dabei liebe er seinen Job.

Im Netz gibt es derzeit zahlreiche Webinare und kostenlose Weiterbildungsangebote dafür. “Selbstständige könnten die frei gewordene Zeit jetzt dafür nutzen, sich neue Fähigkeiten anzueignen”, rät Angela Broer, Geschäftsführerin von HalloFreelancer, einem Start-up, das zum Karrierenetzwerk XING gehört. Ihr Unternehmen hat gerade ein neues Projekt gestartet, um Selbstständige zu unterstützen. Freelancer können Unternehmen eine Art Gutschein für zukünftig benötigte Jobs ausstellen, das heißt: gezahlt im Voraus, der Job erst dann erledigt, wenn der Bedarf wieder da ist. Voraussetzung ist, dass die beauftragende Firma sich das finanziell leisten kann und der Wille da ist, die Freien weiter zu beschäftigen. Rechtlich sei es durchaus möglich, Rechnungen schon zu bezahlen, bevor die Leistung erbracht wird, sagt Broer.

Sie sieht die Krise auch als Chance für Selbstständige: “Firmen lernen in der aktuellen Situation, dass das Arbeiten mit verteilten Teams ohne persönliche Treffen funktioniert, dass Zoom-Schalten problemlos Konferenzen ersetzen und nicht jeder ständig im Büro sein muss.” Dies könne eine gute Grundlage dafür sein, auch zukünftig mehr mit freien Mitarbeitern zu arbeiten und das wiederum entspreche den Bedürfnissen der neuen Generation nach flexiblen Arbeitszeiten und mehr Freiheit im Beruf.

Auch Karen Huber und Martin Orgler sind gerne selbstständig, wäre da nur nicht dieser Haken mit der finanziellen Unsicherheit. Denn die Krise zeigt: wenn die Aufträge wegbleiben, ob nun wegen weltweiter Pandemie-Einschränkungen oder wenn man selber länger krank werden sollte, dann sind die Selbstständigen ganz allein auf sich gestellt. Karen Huber sagt, sie sei durch ihre Existenzangst erschöpft und auch dünnhäutig geworden und finde keinen Ausgleich, weil auch Konzerte und Ausflüge mit Freunden wegfallen würden.

Martin Orgler sieht das etwas pragmatischer. “Ich bin gewohnt, mit wenig Geld und wenig Konsum auszukommen, das macht mir nicht so viel aus. Das liegt vielleicht daran, dass ich in der DDR aufgewachsen bin.” Viel schlimmer sei es für ihn, nicht arbeiten gehen zu können. “Mir fehlt mein Job. Nicht zu wissen, ob und wann ich ihn jemals wieder machen kann, das macht mich fertig.”

*Der echte Name ist der Redaktion bekannt. Die Personen möchten anonym bleiben, weil sie berufliche Nachteile fürchten.

Korrekturhinweis: In einer vorherigen Version des Textes stand, dass Karen Huber versucht, Hartz IV zu beantragen. Sie hat sich zwar diesbezüglich beraten lassen, stellt den Antrag aber nicht, da sie eine private Altersvorsorge hat, die dann angerechnet würde. Die betreffende Stelle haben wir korrigiert.

https://www.zeit.de/arbeit/2020-04/selbststaendige-coronavirus-krise-einkommen-unsicherheit-bundeshilfen/komplettansicht

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